Südkurier Nr. 154 vom 8.7.1977, 33. Jahrg., Seite 11
Todesursache: Die Taucherkrankheit
Taucherdrama: Vorläufiger Obduktionsbericht liegt vor
kof. Laut einem vorläufigen Obduktionsbefund, den die Staatsanwaltschaft
Konstanz gestern erhalten hat, sind die beiden am Dienstag beim Teufelstisch
vor Wallhausen tödlich verunglückten Taucher Egon Frey und Heinrich Falger an
der Caisson-Krankheit, der sogenannten Taucherkrankheit gestorben. Nach wie vor
ungeklärt ist indes, wie es während der Bergungsaktion zu dem Unglück kommen
konnte.
Den ausführlichen Obduktionsbefund erwartet die Staatsanwaltschaft für nächste
Woche. Das vorläufige Ergebnis, das gestern vom Gerichtsmedizinischen Institut
in Freiburg bekannt gegeben wurde, nennt die Caisson-Krankheit als Ursache für
den Tod der beiden Ravensburger Taucher Egon Frey und Heinrich Falger. Es handelt
sich dabei um eine Drucklufterkrankung, die folgendermaßen entsteht: Sauerstoff
und Stickstoff im Blut führen bei einer geringer werdendem Luftdruck zu einer
Bläschenbildung, die auch als Sprudeleffekt bezeichnet wird. Dies führt zu
Gasembolien und schweren lokalen Gewebeschäden. Folge davon sind unter anderem
schwere Kreislaufschäden und Bewußtlosigkeit. Die Krankheit stellt sich dann
ein, wenn zu schnell aufgetaucht wird. In den meisten Fällen zeigen sich die
Symptome erst etwa drei Stunden nach dem Auftauchen.
Die Untersuchungen über die Unfallursache sind indes noch nicht abgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaft bezweifelt, daß das Unglück überhaupt vollständig geklärt
wurden kann. Aufschlüsse erhofft man sich durch eine eingehende Untersuchung der
Taucherausrüstungen. (Siehe auch Bericht auf der folgenden Seite)
ghf
Südkurier Nr. 154 vom 8.7.1977, 33. Jahrg., Seite 12
In Wallhausen:
Gedrückte Stimmung
Gedrückte Stimmung, Fassungslosigkeit und tiefe Anteilnahme, aber auch
Unverständnis über den Wagemut der jungen Männer, die ihr Leben für ihre toten
Klubkameraden aufs Spiel gesetzt und verloren haben, schlägt einem entgegen,
wenn man diese Tage die kleine Bodenseegemeinde Wallhausen besucht.
Viele Bootseigner, deren Schiffe dort vor Anker liegen, sind selbst aktive
Sporttaucher und können die Tragik, die sich in den vergangenen Tagen in der
Nähe des idyllischen Ferienorts abgespielt hat, um so besser nachempfinden.
Urlauber, die ohnehin einen Wanderausflug zur Marienschlucht geplant haben,
pilgern den schmalen Uferweg entlang und legen fast schon obligatorisch auf der
Höhe des Teufelstisches eine Ruhepause ein, um sich die Stelle genau zu
betrachten, wo das Seezeichen 22 und eine rote Boje den Ort kennzeichnen, an
dem innerhalb von drei Tagen vier junge Menschen den Tod fanden.
Äußerungen, die ein totales Badeverbot für diese Gegend fordern, sind in solchen
Augenblicken keine Seltenheit. Ein älteres Ehepaar, das sich gerade auf der
Durchreise befindet, besuchte ebenfalls den Teufelstisch. Auch das Paar hat an
dieser Stelle einen Verwandten verloren. Dr. Karl Kramer aus Reutlingen weiß zu
berichten, daß damals im Jahr 1929 sein Onkel, der Uhrenfabrikant Peter aus
Rottweil, mit der gesamten Familien einen Wochenendausflug mit einem Ruderboot
auf dem Überlingersee unternahm. Der kleine Fritz, ein aufgeweckter Sohn der
Familie, schwamm vergnügt dem Kahn hinterher. Plötzlich rief er: "Hurra! Ich
kann hier stehen". Ohne es zu wissen, stand der damals erst 14jährige Fritz auf
der Platte des Teufelstisches. Nur Sekunden später hatte die Familie Peter den
Jungen aus den Augen verloren. Fritz ertrank am Teufelstisch und bis heute
konnte der Leichnam nicht geborgen werden.
Alles, was an dieses Ereignis noch erinnert, ist ein kleiner, grauer Stein am
Fuße der Uferwand nahe der Unglücksstelle. Auf ihm steht noch schwach
eingraviert zu lesen: Fritz Peter - 1929. Ein Foto, das einmal neben der Schrift
befestigt war, ist längst verwittert.
-pa-
DER TEUFELSTISCH zwischen Wallhausen und der Marienschlucht im Überlinger See
war infolge des niedrigen Wasserstandes im März 1972 zum Teil begehbar. Im
Februar des Jahres 1858, so berichten Chroniken, war der Teufelstisch in seiner
ganzen Größe begehbar. Eine große Menschenmenge strömte herbei und man
veranstaltete ein Volksfest mit Speiseständen und Spielbuden. Sogar ein
Karussell wurde damals aufgestellt. Auch Fasnacht wurde dort gefeiert. Erst
Anfang März 1858, als die Schneeschmelze einsetzte und der Wasserspiegel rasch
stieg, fand das fröhliche Treiben auf dem Teufelstisch sein Ende.
Bild: Archiv
Taucher: "Unglück war vermeidbar"
Mitglieder des Überlinger Tauchclubs: In solchen Tiefen sind kleinste Faktoren
entscheidend
Überlingen/Konstanz. leb. Das Taucherunglück am Teufelstisch bei
Wallhausen wird besonders in Taucherkreisen eingehend diskutiert. Man stand vor
einem Rätsel, wie es dazu kommen konnte. Vor allem schockiert war man über die
Nachricht, daß zwei weitere Taucher bei der Suchaktion nach den vermißten
Tauchern Wolfgang Kurz und Eberhard Keller ums Leben gekommen waren. Sporttaucher
Reiner aus Überlingen, ein erfahrener Taucher sowohl im Bodensee als auch in den
Weltmeeren, dazu: "Es ist ein Irrsinn, bei einer derartigen Suchaktion nochmals
Menschenleben aufs Spiel zu setzen.
Er kann es, wie auch Sporttaucher Lax, Angehöriger des Tauchclubs Überlingen,
nicht verstehen, daß keine technischen Mittel bei der Suche nach den Leichen
eingesetzt wurden. Der Einsatz von Fernsehkameras hätte diese Tragödie nicht
gebracht, meinten sie in einem Gespräch mit dem SÜDKURIER übereinstimmend.
Der Einsatz von Fernsehkameras bei der Suche nach vermißten Personen unter
Wasser wird schon seit einiger Zeit praktiziert. So können Ertrunkene oder
vermißte Taucher ohne Gefahren für weitere Menschenleben geortet werden. Eine
Bergungsaktion nach der Standortbestimmung kann unter wesentlich leichteren
Bedingungen erfolgen. Gewisse Gefahren durch unvorhergesehene Ereignisse sind
aber auch dann noch nicht ausgeschlossen.
Der Teufelstisch im Bodensee bei Wallhausen, eine steil bis auf 90 Meter Tiefe
abfallende Felsplatte, ist für Sporttaucher aus Oberschwaben und dem
Bodenseegebiet ein beliebtes Tauchziel. Außer der großen Tiefe weist der
Teufelstisch "eigentlich", so die beiden Sporttaucher Reiner und Lax, "keine
Gefahren auf." Es seien zwar einige Höhlen und Gänge vorhanden, doch sehen die
beiden Überlinger Sporttaucher aus persönlichen Erfahrungen am Teufelstisch
darin "keine besonderen Gefahrenmomente." Der Reiz der Tiefe, dem viele Taucher
nicht widerstehen könnten, komme aber dazu. Und hier beginnt die Gefährlichkeit
in extremem Maße, denn als Sicherheitsgrenze werden 40 Meter Tiefe angesehen.
Über diese Grenze hinauszugehen sehen offenbar viele Taucher als eine
Selbstbestätigung ihres Könnens an, die schon oft mit dem Leben bezahlt werden
mußte. Panik in großer Tiefe kann nach Auskunft von Sporttaucher Reiner auch den
erfahrensten Taucher ergreifen, denn "die nervliche Belastung in Tiefen über
50 Meter ist ungeheuer groß." Der Tiefenrausch, das kühle Wasser und viele
unvorhersehbaren Gefahrenmomente, auch wenn sie noch so klein seien, würden
hier eine entscheidende Rolle mitspielen.
Allerdings, und das betonte Sporttaucher Reiner ("nach solchen Tragödien wird
der Tauchsport immer in ein falsches Licht gerückt") ausdrücklich in dem
SÜDKURIER-Gespräch, sei das Tauchen nicht gefährlicher als etwa das Bergsteigen
oder Drachenfliegen. Voraussetzungen seien allerdings eine gründliche Ausbildung
und Einhaltung der Vorschriften. 95 Prozent aller Tauchunfälle seien auf
Unwissenheit zurückzuführen.